Schwarz

Wir waren auf Kneipentour durch Dublin. Mein bester Kumpel Tristan und ich, Liz. Wir hatten schon das ein oder andere Glas getrunken. Nun saßen wir in einer Kneipe und kamen mit den anderen Gästen im Pub ins Gespräch. Wie schön die Musik war und die Stadt mit all ihren Legenden.

«Gibt es denn hier Geistergeschichten?», fragte ich, einem Impuls folgend, in die Runde. Mir fehlte noch ein Nervenkitzel, bevor es wieder nach Hause ging. Der Flieger würde morgen in der früh um kurz nach acht Uhr starten. Genügend Zeit noch etwas Gruseliges zu erleben.

«Geister? Nicht dass ich wüsste.», antwortete mein Gegenüber, dessen Name ich nicht verstanden hatte. «Aber es gibt die Legende, dass der Teufel erscheint, wenn man dreimal die Black Church bei Mitternacht umrundet.»

Ich sah mein Gegenüber an und fragte: «Nur umrunden? Ist das alles?», fragte ich, richtig neugierig geworden.

«Es muss im Uhrzeigersinn sein. Wenn man danach die Kirche betritt und zum Altar geht, wird man den Teufel sehen. Er wird versuchen, demjenigen die Seele zu entreißen.»

Mir schauderte etwas. Aber der Alkohol flüsterte mir zu, dass es ein Heidenspaß werden würde diese Legende zu überprüfen.

Als wir den Pub verließen, platzte ich direkt mit meinem Vorschlag raus. «Komm lass uns noch die Black Church umrunden. Wir haben noch ein bisschen Zeit bis Mitternacht. Lass uns noch etwas Dummes tun.»

Tristan verdrehte die Augen. «Ich bin viel zu betrunken, um noch zu laufen. Lass uns doch einfach schlafen gehen.»

Das klang sehr endgültig. Leider. Es war erst dreiundzwanzig Uhr. Zu früh um schon schlafen zu gehen. Aber an Tristans Blick wusste ich, dass ich ihn heute nicht mehr dazu animieren konnte. Also schlenderten wir eingehackt in das Hotel. Wir wünschten uns eine gute Nacht und jeder ging auf sein Zimmer.

Ich legte mich auf das Bett und starrte die Decke an. «Versuch zu schlafen», flüsterte ich mir selbst zu. Um 23:45 setzte ich mich wieder auf. Ach, verdammt. Damit deckte ich mich schwungvoll auf und schwang meine Beine aus dem Bett. Dann mach ich den Unsinn eben alleine!

Das Hotel war nur fünf Gehminuten entfernt zur Kirche.

Der Weg drehte sich leicht vor mir. Trotzdem merkte ich, dass es kalt war und leicht anfing zu regnen. Dabei wischte ich den Regen von meinem Arm. Dann stand ich nun direkt vor der Kirche. Bei dem Versuch mich umzusehen, stolperte ich leicht und musste mich mit den Händen aufstützen. Die schwarze Kirche. Beeindruckend schwarz. Und genauso sah sie aus. Sehr dunkel. In der Mitte war ein großer Kirchturm. Seitlich jeweils zwei kleinere Türme. Insgesamt war das ganze Gebilde sehr kunstvoll geschmückt, auch wenn ich nicht so recht erkannte, was die Verzierungen darstellen sollten. Zwischen mir und der Kirche war einem riesiges Tor und ein gusseiserner, schwarzer Zaun. Ich sah auf die Uhr. Es war Mitternacht. Ich rannte die erste Runde im Kreis um die Kirche herum. Die Runde war nicht lang. Dennoch war die zweite schon bedeutend langsamer und die dritte spazierte ich gemütlich entlang. Der Regen wurde immer stärker und ich merkte wie meine Klamotten ganz durchweicht wurden. Wasser tropfte an meinen Haaren runter. An meinen Fingern tropfte der Regen hinab. Innerhalb des Zaunes gab es eine Stelle, an der der Regen merkwürdig abprallte. Da war wohl eine Glasskulptur, die ich im Dunkeln nicht erkennen konnte.

Ich stand noch einen Moment vor dem großen Kirchentor. Ich sah nochmal zum größten Kirchturm hinauf, dann ging ich auf das Tor zu, um sie zu öffnen. In dem Moment, in dem ich den Stahl berührte, nahm die vermeintliche Glasskulptur eine andere Form an. Sie wurde schwarz und haarig und knurrte mich an. Glühend rote Augen starrten mich an und kamen näher. Der Körperbau dieser Kreatur war riesig und anstatt normaler Pfoten hatte es sehr lange Klauen. Mir lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. Es war ein riesiger schwarzer Hund. Und er fixierte mich. Ich erstarrte. Das Tier kam immer näher. Es roch an meiner Hand. Dann sah es mich nochmal intensiv an. Das Tier schlug mit einer Pfote auf meine Hand. Es fuhr ein scharfer Schmerz durch mein Handgelenk. «Au.», rief ich empört aus und zog dabei meine Hand weg. Dann zögerte ich nun nicht mehr, sondern rannte die Straße hinunter in Richtung Hotel. Ich konnte ein metallenes Scharren hören. Das Geräusch folgte mir. Ich hörte ein Hecheln und mir war, als würde ich einen Lufthauch in meinem Nacken fühlen. Doch die Kratzgeräusche waren deutlich weiter hinter mir. Ich erreichte die Eingangshalle des Hotels und als ich dort ankam, waren die Geräusche weg. Mir war unwohl. Nun stand ich blutend an der Rezeption. Der Mann an der Rezeption sah mich sehr erschrocken an.

«Ein Hund hat mich angefallen.», sagte ich erklärend.

Ohne mich noch einmal umzudrehen, rannte ich die Treppe zu meinem Zimmer hoch.

«Wie ist das nochmal passiert?», fragt Tristan.

«Mich hat ein Hund gekratzt.», antwortete ich.

«Das sieht nach einem großen Hund aus. Bist du also nicht schlafen gegangen?»

«Ich habe noch einen kleinen Spaziergang gemacht, weil ich nicht einschlafen konnte.»

«Ein Spaziergang um die Black Church?»

Ich sah ihn zerknirscht an. «Womöglich.»

Er verdrehte die Augen. Sagte dazu aber nichts mehr. Er sah sehr enttäuscht aus.

Der Flug zurück in die Heimat ging pünktlich.

Der Biss war jetzt drei Tage her. Die Wunde war etwas verschorft, aber sah nicht aus, als ob sie verheilen wollte. Zudem sorgte sich mein Arzt wegen einem lila Wundrand. Wegen dem Arm hatte er mir Antibiotika verschrieben. Nun war ich auf dem Heimweg. Traf Megan, meine beste Freundin, auf einen Kaffee. Meine Freundin hatte ein Faible für große Katzen und für den Esoterikladen. Vermutlich nur zu 30 % wegen der Esoterik und 70 % wegen dem heißen Typen, der dort arbeitete. Die Wunde war nicht abgedeckt, weshalb Meg sie sofort zur Kenntnis nahm.

«Was ist denn mit deinem Arm passiert?»

«Ein Hund. Ist halb so wild. Es verheilt nur schlecht. Der Arzt meinte, dass es der Wunde besser tun würde an der Luft zu heilen.», erklärte ich.

«Das sieht echt übel aus. Hast du dich gegen Tollwut impfen lassen?»

«Ja, das wurde gemacht, als ich wieder kam.»

Sie sah mich mitleidig an.

«So schlimm ist es nicht. Wird schon wieder.» erwiderte ich lächelnd.

«Sollen wir noch zur Gruft?», fragte Meg.

Ich sah sie leidend an. «Wenn es denn sein muss?», fragte ich.

Sie nickte freudestrahlend und wir machten uns auf in den Esoterikladen.

Es roch dort wie immer. Nach Patschuli und Salbei. Kein Geruch der mich besonders ansprach. Aber gut. Für Meg lag hier das Paradies. Zugegeben das stinkende Paradies. Aber es könnte schlimmer sein. Der Ladenbesitzer Tim stand wie immer mitten im Laden. Er war immer gern bereit, seinen Kunden beim Suchen der richtigen Utensilien zu helfen. Er war gutaussehend, wenn auch etwas gruselig, bei der Tatsache wieviel Lidschatten ein Mann verwenden kann.

Der Laden war sehr dunkel. Überall lagen schwarze Tücher aus. Die Bücher waren großteilig schwarz. Darunter nur wenige Ausnahmen. Es gab ein Sammelsurium an Steinen, Papier und Karten. Einiges für Räucherwerk, Ketten. Eben alles was ein Esoterik liebendes Herz höher schlagen ließ.

Meg interessierte sich vor allem für die Karten. Sie wollte wohl unbedingt ihr Schicksal wissen. Ich war nur froh, dass sie mich nie zu einer Wahrsagerin schleppte.

In der Mitte des kleinen Geschäftes stand ein mahagonifarbener Tisch, um Verkaufsprodukte zu «erfahren» bevor man sie kaufte. Um den Tisch herum standen fünf Stühle.

Es brauchte nicht ganz zehn Minuten, bis Meg einen Satz neuer Karten gefunden hatte, um diese auszuprobieren. Engelskarten.

Sie hatte die gleichen Karten vier Mal vor sich und packte jede aus, um sie auf gewisse Fähigkeiten zu analysieren. Tim saß zu ihrer Rechten und beriet sie über die Karten. Ich hörte nicht zu und sah mir lieber die bunten Bildchen der Karten an. Schön waren sie ja.

Ich nahm mir einen beiseitegelegten Kartenstapel und sah mir die Karten genauer an. Plötzlich merkte ich, dass es um mich herum leiser geworden war. Dann bemerkte ich Tims entsetzten Blick, der auf meine Wunde fixiert war. Sie schien an wenigen Stellen wieder aufgegangen zu sein und blutete leicht.

«Mist. War ein Hundebiss. Tut mir Leid. Eigentlich war sie schon besser verheilt.», wollte ich mich entschuldigen.

Er schien sich gefangen zu haben. «War das ein schwarzer Hund?», riet er.

Ich sah ihn überrascht an. Ich nickte.

«Ich werde kurz Verbandsmaterial holen.» Dann war er auch schon verschwunden.

Ich sah Meg verwirrt an. Meg sah auf einmal sehr ängstlich aus.

«Ist alles ok?», fragte ich Meg.

Doch bevor sie antworten konnte, kam Tim wieder. Er hatte einen Erste-Hilfe-Kasten und einige Säckchen und Salben bei sich. Er packte alles auf den Tisch, nahm dann meinen Arm und legte ihn daneben. Er inspizierte kurz die Wunde. «Wie lange ist der Biss her?»

«Drei Tage», antwortete ich automatisch.

«Ich werde etwas Schafgarbe darauf geben und ihn dann verbinden. Wenn es schlimmer wird, solltest du wieder kommen. Oder anrufen.» Er legte sein Kärtchen vor mich hin. Dann strich er eine zähflüssige Tinktur auf meinen Arm und verband ihn.

«Wenn es schlimmer wird?», fragte ich erschrocken. «Das wird einfach abheilen und gut.»

Er seufzte. «Hatte der Hund rote Augen?»

Ich hörte einen Moment auf zu atmen. Das konnte nicht sein. «Weiß nicht. Warum?»

«Könnte ein Höllenhund sein. Die Wundheilung geht zurück, wenn der Hund näher kommt. Wenn sie schon besser verheilt war, dann ist er auf dem Weg hierher.»

Gut, jetzt war nicht der Moment, um in Lachen auszubrechen. «Er kommt näher? Bekomme ich also ein Haustier?». Ich lächelte: «Glaubst du diesen Mist ernsthaft?»

Meg war sichtlich blass geworden.

«Du hast es wohl auf die Beuteliste geschafft.», ging er nicht auf meine Worte ein.

«Das ist doch Blödsinn. So was gibt es doch alles nicht.», fuhr ich sauer auf. Unter Irren ist es schwer zu sagen, was normal ist. Ich machte die Augen zu und zählte bis 10.

«Ok. Nehmen wir mal an, ich glaube das. Was kommt dann auf mich zu?»

«Er wird dich hetzen. Solange bis sein Herrchen da ist.»

Ich machte große Augen. Das alles überstieg meine Hirnkapazität. «Herrchen? Gut, dieses Gespräch endet hier.»

Er sah mich kurz an. «Nun gut. Nimm zumindest das hier! Trag es um den Hals.» Er hielt mir einen kleinen Beutel an einer Kette hin.

«Gut. Danke», gab ich mich geschlagen. Hauptsache wir können dieses Thema lassen.

Danach brachte er die Sachen weg und kam wieder, um das Verkaufsgespräch weiter zu führen.

Meg sagte kein Wort und starrte mich immer noch ungläubig an.

«Was?», fragte ich nur.

Sie schüttelte nur den Kopf.

Ich war wohl zu unhöflich.

Seit dem Gespräch war sie sehr ruhig. Ich war mir nicht sicher, ob sie sauer oder enttäuscht war. Sah sie verstohlen an. Sehr abwechslungsreich flackerten Gefühle über ihr Gesicht. Sorge, Wut, Sorge, Furcht, Enttäuschung, Sorge, Wut. Sie hatte sich wohl auch noch nicht entschieden. Abwarten!

Ein gutes Stück gingen wir in trauter Schweigsamkeit, bis ein Quietschen von Meg ertönte. Ich starrte sie an. Sie mich auch.

«Wie konntest du ihn nur so abwürgen?»

«Reines Talent?»

«Aber was ist, wenn da doch was Gefährliches ist!»

«Gefährliches? Da ist überhaupt nichts.»

Stille. «Na, gut.», gab sie mürrisch von sich. «Soll ich dich noch nach Hause begleiten?», fragte sie dann wieder sorgenvoll.

Ich lächelte sie aufmunternd an. «Das schaff ich schon.»

Die nächsten paar Tage verstrichen ereignislos. Wenn die Wunde sich nicht weigern würde zu heilen, wäre alles schon vergessen. Nach vier Tagen sah die Wunde wieder frisch aus. Laut Tim war der Hund somit sehr nah. Am fünften Tag fing ich an, meine Wohnung hundegerecht einzurichten. Einen Napf, Hundefutter, eine Kuschelecke und ein Kauknochen mit integriertem Quietschen. Zugegeben, der Kauknochen war unpassend. Vielleicht wäre das Riesengummihühnchen besser gewesen, sinnierte ich vor mich hin.

Am sechsten Tag wachte ich auf, weil meine Hand schmerzte. Schlaftrunken schnappte ich mir mein Handy und wankte ins Bad. Drück, drück und schon schallte Guten-Morgen-Musik durch den Raum. Ich schnappte mir aus dem Spiegelschränkchen Verbandsmaterial und setzte mich anschließend auf die Toilette.

Die Wunde sah übel aus. Richtig übel. Und sie blutete. Meinem Magen schien der Anblick nicht zu gefallen, denn er grummelte unheilbringend. Auch noch Verdauungsprobleme. Ich versorgte die Wunde notdürftig und ließ mich dann nach hinten sacken. Bevor ich der Natur ihren Lauf lassen konnte, hörte ich ein tiefes Knurren hinter mir. Schlagartig war ich wach. Ich spürte einen hechelnden Atem an meinem Nacken. Einige Minuten saß ich wie erstarrt auf der Kloschüssel. Dann bewegte ich mich meine Hand langsam zum Handy. Der Hund knurrte und ich fühlte nun den Atem an meiner Hand. Ganz ruhig. Der will nur spielen, beruhigte ich mich selbst. Ich drehte meinen Kopf leicht. Aber dort, wo ein Hund hätte sein müssen, war nichts. Ein unsichtbarer Hund. Ich streckte langsam meine Hand nach dem Handy aus. Stück für Stück mit einer Geschwindigkeit, die einer Schnecke Tränen in die Augen getrieben hätte. Und dann hatte ich es. Ein weiteres tiefes Knurren war zu hören. Langsam zog ich meine Hand mit Handy wieder zurück.

Ich wählte Tristans Nummer. Nachdem es minutenlang geklingelt hatte, legte ich auf. Er ging nicht ran. Ich hatte ihn seit dem Urlaub nicht mehr erreicht. Ich sah auf das Salzsäckchen, welches ich um den Hals trug. Hoffentlich hilft mir das.

Als nächstes wählte ich Megs Nummer. Ein paar Sekunden später hatte ich sie an der anderen Leitung.

«Hallo.», war zu hören.

«Hi Meg.», flüsterte ich. «Der Hund ist hier.»

Man hörte ihren stockenden Atem. «Ich rufe kurz Tim an und dann komme ich zu dir. Beweg dich nicht. Ich bin gleich da.»

Ich sah mich kurz auf dem stillen Örtchen um. «Nicht bewegen? Ich kann hier doch nicht sitzen bleiben?»

«Rühr dich nicht!» Bin in 15 Minuten bei dir!», fuhr sie mich scharf an.

«Jawohl, Herr Feldwebel.», antwortete ich gehorsam. Der Hund knurrte.

Meg legte auf und nun war ich wieder allein mit dem hechelnden Hund. Erst jetzt fiel mir auf, dass er ziemlichen Mundgeruch hatte, und dass ich dringend aufs Klo musste. Leider fiel es mir schwer, wenn jemand dabei war.

Ich muss nicht. Ich muss nicht, versuchte ich mein Unterbewusstsein zu beeinflussen.

Mein Magen knurrte und blubberte vor sich hin.

Doofes Autogenes Training, das funktionierte nicht.

Nach fünf Minuten konnte ich es nicht mehr verkneifen. Ich spürte wieder den heißen Atem an meinem Nacken. Da meine Bauchschmerzen inzwischen unerträglich waren, gab ich dem Drängen nach. Sehr geräuschvoll verrichtete ich meine Morgentoilette. Hinter mir war ein erbärmliches Winseln zu hören.

«Unverschämt», flüsterte ich. «Wer die Hölle gewohnt ist, für den sollte das hier kein Problem sein.»

Der Atem war nicht mehr an meinem Nacken zu spüren. Und das Knurren kam auch von etwas weiter weg. Na, super. Eine Methode gefunden, wie ich mir den Hund vom Hals halten kann. Leider war diese Methode nicht beliebig steuerbar. Außer ich mache heute Chili con Carne.

Während ich so in Gedanken versunken war, wie ich meine schlechte Verdauung als Waffe einsetzen konnte, hörte ich ein Scharren an der Wohnungstür. Meg schien angekommen zu sein.

Ich hörte Geräusche aus dem Treppenhaus. Die Tür wurde geöffnet.

«Liz?», hörte ich eine männliche Stimme.

Verzog mein Gesicht zu einer Grimasse. Das war Tim.

«Hier», rief ich leise.

Ich hörte ein paar Schritte, bevor die Klotür geöffnet wurde.

Tim verzog sein Gesicht und wurde deutlich grüner. «Verwest hier etwas?», fragte er entsetzt.

Ich versuchte unschuldig auszusehen. «Der Hund.», sagte ich erklärend.

Bei diesen Worten erfolgte ein Knurren aus dem Wohnzimmer.

«Was machst du hier?»

Ich setzte meinen genervtesten «Echt-Jetzt»-Blick auf.

«Du solltest dich anziehen und dann sollten wir reden.», sagte Tim schlicht, bevor er sich umdrehte.

«Willst du nicht kurz gehen, damit ich hier fertig machen kann?», fragte ich entsetzt.

«Wenn ich gehe, kommt der Hund wieder. Er kann nicht an dich ran, solange jemand bei dir ist.»

«Klasse.»

Ich versuchte, so wenig Lärm wie möglich zu machen und eine Minute später war ich bereit dem Morgen entgegen zu treten. Naja, oder alternativ irgendjemanden zu treten.

«Küche», sagte ich nur kurz. Ich brauchte jetzt unbedingt einen Kaffee.

Wir gingen zusammen in die Küche und ich machte eine Kanne Kaffee.

Tim platzte dann kurz entschlossen heraus: «Was hast du angestellt?»

Ich verzog kurz das Gesicht. «Ich hab die Black Church umrundet.»

«Im Ernst?»

«Nein, im Suff.», gab ich zu.

Er verdrehte die Augen.

«Wird mich der Hund noch mehr verletzen?», fragte ich Tim.

«Keine Ahnung. Er wird dich verfolgen. Du solltest nicht auf die Idee kommen den Hund anzugreifen. Wenn du merkst, dass er da ist, bewege dich langsam, streue geweihtes Salz um dich.»

«Salz? Soll ich mich würzen, bevor man mich runter würgt?»

«Der Hund würgt dich garantiert nicht runter. Nicht, nach dem er mit dir auf der Toilette war.», fügte er grinsend hinzu.

Wie unverschämt. Wie kann er nur einfach so, die … Wahrheit sagen.

Ich machte eine Grimasse. Wenn ich das noch öfter machte, würde mir dieser Gesichtsausdruck bleiben.

Er lächelte kurz. «Salz und Menschen halten ihn dir fern. Er kann dich in Menschenmengen nicht verfolgen. Solange du unter Menschen bleibst, wird dir nichts passieren. Deswegen ist er auch im Moment nicht da.»

«Praktisch.», sagte ich.

«Ich kann nicht mein Leben lang jeden Moment jemanden um mich haben. Das ist einfach nicht möglich. Wie bekomme ich ihn los?»

«Das weiß ich noch nicht.»

Plötzlich ertönte ein lautes Fiepen aus dem Wohnzimmer.

«Was ist das?»

«Hundespielzeug.»

«Du hast einen Hund?»

«Nicht direkt.»

«Es ist für den Höllenhund? Was geht nur in deinem Kopf vor.», fragte er skeptisch.

Achselzucken meinerseits.

«Was genau hast du gemacht?»

Ich erzählte ihm die gesamte Story. Erwähnte auch die Legende und alles.

«Eigentlich dürfte er dich gar nicht holen.», sagte er schließlich.

«Wir sollten uns fertig machen und dann zu meinem Laden gehen. Alle Bücher sind dort. Wie lange brauchst du ungefähr?»

Ich leerte in einem Zug den restlichen Kaffee und sprang auf. «Bin fertig.»

Er sah mich kritisch an. «Sicher?»

Ich sah an mir runter. Boxershorts, Socken und ein etwas zu großes Shirt. «Gut, ich sollte mich vorher noch umziehen.»

Machte mich schon auf den Weg in die Dusche.

Dusche war nicht ganz das richtige Wort. Es war eine Badewanne mit einem Duschvorhang.

An der Kopfseite war die Badewanne schräg und an der anderen war der Duschkopf befestigt. Ich stand kaum hinter dem Vorhang, als die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Stille.

«Willst du mir etwa beim Duschen zusehen?»

«Wollen nicht. Nur -»

«Du bleibst gefälligst vor der Tür.», herrschte ich ihn an.

Ich hörte ein lautes Seufzen. «Gut ich bleibe vor der Tür stehen. Wenn was ist, mach dich bemerkbar.» Ich hörte wieder die Tür.

Das Säckchen Salz legte ich an einen trockenen Ort. Danach machte ich das Wasser an und wartete kurz bis es warm war. Weichte mich einmal ein und schnappte mir das Haarshampoo. Damit ging ich großzügig um.

Und dann ein Knurren. Versuchte meine Augen zu öffnen, aber mit der Seife war das äußerst schmerzhaft. Das Knurren kam näher. Es war wohl direkt vor mir in der Badewanne. Ich trat einen Schritt zurück, auf die schiefe, nasse Fläche der Badewanne. Verlor mein Gleichgewicht, versuchte mich am Vorhang festzuhalten, riss ihn dabei halb herunter und federte meinen Sturz elegant mit meiner Hüfte an der Kante der Badewanne ab. Danach rutschte der Vorhang vollends von der Halterung und ich schlug das zweite Mal fluchend mit den Rippen auf die Kante. Flutschte mitsamt Vorhang in Richtung Hund. Dieser sah diese Wendung wohl nicht kommen. Kratzgeräusche waren zu hören. Er versuchte wohl nach hinten abzuhauen. Ich riss ihn beim Rutschen von den Füßen und ein nasses, schweres Fellknäuel landete krachend auf mir. Der Hund winselte zuerst, dann knurrte er.

Die Tür wurde aufgeschlagen und Tim sah mich erschrocken an. Sofort war das Gewicht auf mir weg.

«Hast du fertig geduscht?», fragte er nur.

Ich nickte, blieb aber weiter liegen. Der Wasserstrahl traf mich immer noch. Gott sei Dank hatte mich der Vorhang ganz umschlungen, so dass ich nicht nackt da lag. Das war aber schon das einzig Gute.

Zehn Minuten später war ich unter der strikten Aufsicht von Tim angezogen. Dann fuhren wir umgehend in seinen Laden. Dort erwartete uns schon Meg. Sie hatte reichlich Bücher vor sich auf dem runden Tisch ausgebreitet und wirkte ganz vertieft in ihre Lektüre.

«Guten Morgen.», rief ich ihr zu. Ich humpelte zum Tisch und setzte mich sachte auf den Stuhl neben ihr. Tim setzte sich auf ihre andere Seite.

Überrascht sah sie auf. Leicht besorgt blickte sie mich an. «Was ist dir denn passiert?»

«Haushaltsunfall.»

«Hast du etwas Nützliches gefunden?», erkundigte sich Tim.

«Der Hund ist nicht sterblich. Keinen Hinweis darauf, wie man ihn töten könnte. Also bin ich dazu übergangen nach Arten zu suchen, ihn zu bannen. Ich habe einen Spruch gefunden, um einen Geist in eine Flasche zu bannen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das auch mit einem Höllenhund funktioniert.» Sie reichte ihm das Buch.

Er sah kurz darüber. «Würde ich nur als letzten Ausweg wählen. Wenn das Gefäß zerbricht, hätten wir einen rachsüchtigen Hund.»

Etwa zwei Stunden später meldete Meg sich wieder zu Wort. «Wir könnten einen Dämon um einen Wunsch bitten.»

Wir starrten sie gebannt an. Meinerseits war der Blick eher skeptisch. Sie reichte ihm das Buch und er las kurz den Text durch.

«Möglich.»

«Hier steht, dass man Höllenhunde auch austreiben kann.», meldete ich mich dazwischen.

Beide sahen abschätzend auf das Buch. Reichte das Buch über den Tisch. Beide studierten es. «Das klingt am vielversprechendsten.», meinte Tim daraufhin. «Nur irgendwie müssten wir ihn mit uns in einem Raum bekommen.»

Eine etwas längere Stille folgte. «Ich bereite den Exorzismus vor. Meg, bleib bei Liz. Ich werde gleich wieder da sein.»

Gleich bedeutete in seinem Sprachgebrauch wohl 3 Stunden später. Ich nutzte die Zeit um öfters auf Tristans Mailbox zu sprechen.

Dann öffnete sich die Tür. Tim war zurückgekehrt. Er sah etwas an gekokelt aus. «Alles in Ordnung?» Meg klang ganz besorgt.

«Ja, nur das mit dem Exorzismus wird nicht klappen.»

«Warum nicht?», fragte ich verwirrt.

«Wir haben alles für einen Exorzismus zusammengetragen und aufgestellt. Wir hatten kaum das alte Lagerhaus verlassen, da ist es abgebrannt.»

«Und du glaubst, das war der Hund?», fragte ich erstaunt. «So klug kann der doch unmöglich sein. Seid ihr sicher, dass es nicht nur Zufall war?»

Er sah mich verzweifelt an. «Ganz sicher.»

«Aber wie sollte ein Hund ein Lagerhaus abfackeln können? Ich meine, der hat noch nicht mal Daumen.»

«Dafür braucht er kein Feuerzeug!», meldete sich Meg. «Höllenhunde können Feuer speien.»

«Feuer speien?», fragte ich entsetzt. «Was zum Geier ist denn das für eine Mischung?»

«Viel größer ist die Frage, warum er ausgerechnet an dir hängt. Er hat ein Ritual unterbrochen. Er verfolgt dich aber verletzt dich nicht. Es scheint fast so, als ob er dich nicht hetzt. Nur was sollte er von dir wollen?»

«Weißt du, was er von mir will?»

«Nein. Aber er hat etwas unterbrochen, was dir im schlimmstenfalls deine Seele geraubt hätte. Warum sollte ein Höllenhund so gnädig sein?»

«Was wenn es ein Versehen war?»

«Du meinst, wenn er es aus Versehen unterbrochen hätte und es seinem Herrchen gegenüber wieder gut machen will?»

«Möglich.»

«Dann hätte er dich in Irland nicht gehen lassen. Wir werden Mittwoch das erste Mal die Beschwörung ausführen. Bleibt bis dahin zusammen und seid übermorgen spätestens zum Sonnenaufgang wieder hier. Genießt die Zeit.»

«Warum übermorgen?», fragte ich ahnungslos.

«Der Zeitpunkt ist dort günstiger als heute.»

Meg und ich gingen in die nächste Bar und bestellten uns einen Cocktail. Nach einer guten Nacht aus Feiern, Trinken und Tanzen erreichten wir gegen drei Uhr Megs Wohnung.

«Hast du noch Lust auf Rum-Pflaumen mit Vanilleeis?», bot sie mir an.

«Können wir uns nicht weiter einfach so betrinken? Brauchst du wirklich einen Kotzbeschleuniger?»

««Auch wieder wahr.» Sie lallte leicht und kam dann mit einer Flasche Hugo in der Hand wieder zurück. «Man sollte mindestens drei Liter pro Tag trinken.»

Sie schenkte uns beiden ein und wir führten die Party bei ihr fort.

«Auf uns!», stammelte ich.

«Auf uns!», wiederholte Meg.

Ich wachte leicht auf, als Meg aufstand und Richtung Toilette torkelte. Der Zombiegang der frühen Morgenstunde. Der Verband an meinem Arm blutete wieder durch. Aber es war zu früh um etwas dagegen zu tun. Kaum war Meg aus dem Raum, gab das Bett etwas nach. Der Hund war ins Bett gestiegen. Er legte sich neben mich und atmete mir ins Gesicht. Sein Atem stank nach verfaulten Eiern und mir wurde sehr kalt. Kroch etwas tiefer unter die Decke. Zu meinem Erstaunen knurrte der Hund nicht. Gleich darauf schlief ich auch schon wieder. Als ich das zweite Mal aufwachte, war Meg wieder im Bett. Die Sonne stand schon etwas hoch. Noch knapp einen Tag und eine Nacht. Dann würde der Hund hoffentlich wieder bei seinem Herrchen sein.

Als wir tags darauf um vier Uhr morgens zu Tims Laden gingen, war dort alles schon hell erleuchtet. Die Ladentür war offen. Meg verschloss sie hinter sich. Der Tisch war weggestellt worden. Auf dem Boden prangte ein riesiges rundes Symbol. Es hatte zwei Kreise. Zwischen beiden Kreisen standen mehrere Namen. Im kleineren Kreis waren zwei Linien, die den Kreis in vier gleich große Stücke unterteilten. Das Symbol war auf eine Art Decke aufgemalt. Es sah wie Leder aus. War es vermutlich auch. Darum waren ein paar brennende Kerzen aufgestellt worden. Tim hatte einen schwarzweißen Mantel an, auf dem Symbole zu sehen waren. Er reichte uns zwei schwarze Mäntel. Wir zogen sie an.

«Hast du so was schon öfters gemacht?», erkundigte ich mich.

«Selten.», antwortete er.

Ein Stab, auf dem Namen geschrieben waren, lag in Tims Hand. An einem Ende wurde ein ledernes Tuch festgemacht. Auf diesem sah man ein Symbol in einem Halbkreis.

Er drehte sich zu uns um. Auch noch ein ledernes Halsband lag um seinen Hals.

«Ihr sagt kein Wort. Egal was passiert. Und ihr verlasst diesen Kreis nicht.»

Eifrig nickten wir.

Wir betraten das Symbol auf dem Fußboden. Dazu mussten wir ein paar Namen beim Betreten aufsagen. Dann knieten wir uns innerhalb des Symbols hin.

Er sprach sehr energisch in einer Sprache, die ich nicht verstand. Es tauchte nur öfter das Wort Haram auf. Das dauerte eine ganze Weile. Innerlich war ich sehr angespannt, ob etwas passiert und wenn ja, was. Tim war jetzt seit ein paar Sekunden ruhig. Ich glaubte, er war mit seinem Ritual durch. Es passierte ein paar Minuten lang gar nichts. Vielleicht hatte es auch nicht funktioniert. Doch dann ertönte eine Stimme und verlangte zu wissen, was wir wollten. Die Stimme war sehr dunkel und verzerrt. Es klang nach keiner menschlichen Stimme. Sie war ab und zu leiser, dann wieder sehr laut.

«Wir wollen, dass der Höllenhund die Verfolgung abbricht.»

Die Stimmen lachten und höhnten dann: «Was hat das mit uns zu tun?»

«Ihr werdet den Hund zu seinem Herrchen schicken.», antwortete Tim mit eisenharter Stimme.

Die Geister lachten. Tim schlug den Stab mehrfach auf den Boden und hielt ihn dann über die Flamme einer Kerze. Sofort verstummte das Gelächter und die Stimmen schienen ihn nun ernst zu nehmen.

Plötzlich wurde die Tür geöffnet und Tristan stand in der Tür.

«Ihr habt nach mir geläutet?», fragte er gut gelaunt.

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Er war der Besitzer des Hundes?

Ich wollte Luft holen und etwas sagen. Doch da zog mich Meg an meinen Ärmel. Ach ja, ich sollte ja nichts sagen. Ich sah sie einen langen Moment an und dann sah ich wieder auf Tristan.

«Nimm deinen Hund mit.», sagte Tim. «Und dann verschwinde!», befahl er.

Er tat es. Danach verschwanden Tristan und die Stimmen.

Wir sprachen noch eine Abschlussformel und stiegen aus den Kreisen.

Meine Gedanken überschlugen sich und ich kam zu keiner Antwort auf meine Tausend Fragen. Und ein Gedanke, der mich erstarren ließ. Tristan war weg.

Tim sah mich prüfen an. «Du kanntest ihn?», fragte er mich.

«Das dachte ich zumindest.»

«Ich glaube nicht, dass er dich damit quälen wollte.»

«Was wollte er dann?», fragte ich patzig.

«Ich glaube er wollte dich beschützen. In Irland. Doch nachdem du den Hund einmal gesehen hast, gab es kein Zurück mehr. Danach hast du ihn immer wahrgenommen.»

«Wer ist Tristan? Der Teufel?»

«Ein Dämon. Aber der Teufel wird er wohl nicht sein.»

Das alles ist nun schon über ein Jahr her. Am Tag des Rituals war es das letzte Mal, dass ich Tristan sah. Oder den Hund. Das Haus in dem er gewohnt hatte, war leergeräumt und stand zum Verkauf. Auf seiner Arbeit konnte man sich nicht mehr an ihn erinnern.

Mit Reue denke ich daran, dass ich es verschuldet habe. Wenn ich keine Dummheit gemacht hätte, hätte ich einen Freund behalten. Ich sehe auf meinen Arm. Man sieht immer noch eine tiefe Narbe. Doch nach dem Ritual ist diese schnell verheilt und machte nie wieder Scherereien.

Ich glaube, ich werde mir morgen einen Hund zulegen.