Wut kochte in mir hoch. Das Gefühl überflutete mich und ließ keinen anderen Gedanken mehr zu, als den nach Rache.
Ein Freund von mir besaß einen kleinen Esoterikladen namens Gruft. Als ich in einem der Bücher stöberte, kam mir der Gedanke, dass ich den Lauf der Dinge in meine eigenen Hände nehmen könnte. Warum nicht eine Beschwörung der dunklen Seite wagen? Und in meinem Zorn schien mir das ein akzeptabler Lösungsweg.
Mitten im Wald, in der Nähe der Burgruine Hardenstein, führte ich die Beschwörung durch. Ganz leise konnte man die Ruhr hören. Die Kerzen flackerten und wehten leicht im Wind. Dabei erklang ein Zischen. Für einen Moment wurde ich noch wütender. Dieser ganze Humbug schien nicht zu funktionieren. Was hatte ich erwartet? Dass es funktioniert? Nein, wahrscheinlich nicht. Dennoch war es sehr enttäuschend.
Die Wut, die sich in mir sammelte, durchflutete meinen ganzen Körper, dabei fiel es mir schwer zu atmen. Meine Knöchel traten weiß hervor, als ich den Stab noch etwas fester umfasste.
«Hallo, schöner Fremder. Wie darf ich dich denn nennen?», durchbrach eine angenehm klingende Stimme die Stille des Waldes.
Die Stimme erschreckte mich zutiefst. Gehetzt versuchte ich die Person im Dunkeln zu lokalisieren, aber die Nacht lag wie ein Schleier über dem Wald.
Erst als die Gestalt nah genug herankam um vom Kerzenschein erhellt zu werden, war er als ein Mann zu erkennen.
«Wunnibert», klang es kleinlaut. Meine Stimme hallte leicht in dem Wäldchen.
«Bitte wie?», fragte der Fremde erstaunt. Man sah ihm an, dass er sich amüsierte. «Und weiter?»
«Wunnibert Wonig.»
Daraufhin brach der Fremde in schallendes Gelächter aus. Na danke.
«Junge, du warst echt kein Wunschkind. Nun gut. Was kann ich für dich tun?»
Kein Wunschkind? Verdammter Klugscheißer, schoss es mir durch den Kopf. Inzwischen war er so nah an mich heran getreten, dass ich schon leicht in Panik ausbrach. Er hatte kurze blonde Haare und ein angenehmes, großgewachsenes Äußeres.
«Ich will Rache», presste ich hervor.
«Schön. Und wie soll ich dir dabei helfen?»
Kurz dachte ich nach. Keine Ahnung. Soweit war mein Plan noch nicht vorangeschritten. Eigentlich hatte ich nur bis zum Ausführen des Rituals geplant. Und im Improvisieren war ich eine Niete.
«Nun?», fragte mein gegenüber. Belustigung schwang in seiner Stimme mit.
«Ich will Rache. Ich möchte, dass derjenige leidet.»
«Sehr eloquent, doch das bringt uns nicht weiter», stellte er nun ungeduldig fest.
«Möchtest du die Mittel um die Rache eigenhändig durchzuführen?», half er aus.
«Das klingt gut.»
Der Dämon sah den Schutzkreis und das Buch, welches vor mir lag.
«Ist das Tims Buch?»
Tim war der Besitzer der Gruft. In jenem hatte ich mir das Buch ohne Wissen des Besitzers ausgeliehen.
«Ja. Woher kennst du Tim?» Auch das noch. Innerlich verdrehte ich die Augen.
«Wir haben gemeinsame – Freunde», sagte der Dämon verschmitzt. «Kannst ihm bei Gelegenheit schöne Grüße von Tristan ausrichten.»
Irgendwie lief das Gespräch in eine falsche Richtung.
«Was wird mich dein Angebot kosten?»
Er blickte mich einen langen Moment an. «Einen Gefallen für einen Gefallen.»
Das klang fair.
«Und was bekomme ich dafür?»
«Die Fähigkeit, dich in einen Werwolf zu verwandeln.»
Jetzt begann ich leicht zu lächeln. «Ich kann ihn zu Tode beißen und zerfetzen?»
«Irgendwie führe ich diese Gespräche zu oft. Du kannst ihn zu Tode hetzen. Du hast die Möglichkeit auf seine Schultern zu springen und dich so lange tragen zu lassen bis er tot umfällt oder wahnsinnig zusammenbricht. Niemand wird dich abschütteln können», spulte er einen fast schon auswendig gelernten Text ab.
Das Lächeln in meinem Gesicht verschwand. «Was? Ich darf zwangskuscheln? Schlechter Tausch. Ich bin doch kein Klammeraffe. Und was soll denn das für eine Art Werwolf sein?», empörte ich mich.
«Ein Klüngelpelz. Du kommst doch aus dem Rheinland. Hast du denn gar keine Bildung genossen?», fragte er genervt. Dann fuhr er etwas ruhiger fort: «Dein Opfer wird leiden und keiner wird dir etwas vorwerfen können. Und du bekommst noch einen neumodischen, hässlichen Fellgürtel gratis oben drauf. Ach ja und zu Beginn wird es für dich leichter sein, dich an Wegkreuzungen oder Friedhöfen zu verwandeln. Zu Beginn sehen deine Opfer nur einen kleinen Hund vor sich. Du wächst mit ihrer Angst.»
Mit diesen Worten zog er einen grauen Fetzen, der nur mit Mühe als Gürtel erkennbar war, hervor.
«Ist das der sexy Schlüpfer von deiner Mutti?», fragte ich etwas missmutig. Irgendwie hatte ich mir etwas Cooleres vorgestellt. «Ich dachte, bei diesem Deal könnte man etwas … weniger Bescheuertes bekommen.»
«Das ist mein Angebot. Nimm es an oder lass es.» Das Lächeln auf seinem Gesicht war verschwunden.
Die Wut, die mich zuvor durchflutet hatte, war während dieses Gesprächs etwas gewichen. Doch nun kam sie wieder hoch. Ohne weiter darüber nachzudenken, sagte ich: «Einverstanden.»
Er warf den Fellfetzen auf den Boden. «Vergiss nicht, was du versprochen hast», ermahnte er mich. Ernst nickte ich und beendete das Ritual. Danach verschwand er. Immer noch war ich wütend, aber inzwischen beschlich mich auch Furcht. War das wirklich klug, was ich hier getan hatte?
Zwei Tage waren seit dem Ritual vergangen. Gelangweilt wartete ich, dass Peter wieder aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Dort saß er ein, weil er einen Jungen betrunken über den Haufen gefahren hatte. Deswegen hatte er zwar zwei Jahre auf Bewährung bekommen, hatte aber mit einem bewaffneten Überfall gegen diese verstoßen. Dabei wurde seine Bewährung widerrufen.
Bei diesem Raub hatte er meine Schwester mit einem Messer verletzt. Sie lag immer noch im Krankenhaus, während Peter heute wieder freigelassen wurde.
Es erklang das Geräusch eines sich nähernden Wagens. Willkommen zurück, Peter.
Der Abend war hereingebrochen. Die Nacht roch klar und etwas nach Blumen. Langsam ging ich bis zum Friedhof. Dabei spielte ich mit meinem Fellgürtel. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ein Kleid meiner Schwester zu tragen. Zum Glück begegnete mir niemand auf dem Weg dorthin. Als ich auf geweihten Boden stand bemühte ich mich, mich in einen Werwolf zu verwandeln. Doch es tat sich nichts. Auf und ab hüpfte ich, bis ich wütend wurde und gegen einen Grabstein trat. Der Schmerz, der durch meinen Fuß schoss, ließ mir Tränen in die Augen schießen.
Als ich meine Augen wieder öffnete, musste ich zum Grabstein hoch sehen. Oha, ich hatte die Größe einer Ratte, schoss es mir durch den Kopf. Hätte ich mit den Schultern zucken können, hätte ich das wohl gemacht. Stattdessen streifte ich zur Straßenseite und wartete nun auf mein Opfer.
Lange musste ich nicht warten. Dann spazierte auch schon Peter die Straße entlang. Sofort ging ich wenige Schritte auf ihn zu. Kurz blieb er stehen, als er mich wahrnahm. «Weg mit dir, du Drecksköter», rief er und trat in meine Richtung. «Ich hasse diese Viecher.»
Wie unhöflich. Ich rettete mich mit ein paar beherzten Hüpfern in Richtung Friedhof aus dem Gefahrenbereich. Aber als Peter sich umdrehte und weiter in Richtung Wald lief, folgte ich ihm beharrlich. Mitten in dem kleinen Wald fanden regelmäßig Feten statt. Niemand interessierte sich dafür was dort konsumiert wurde. Ich hoffte, dass das Peters Ziel war. Im Schatten des Waldes konnte ich mich dann seiner annehmen.
Ich wartete, bis er ein gutes Stück in den Wald gegangen war.
Ich schlich mich an ihn heran und sprang ihm auf die Schultern. Er schrie und torkelte gegen einen Baum. Mit seinen Armen versuchte er nach mir zu schlagen. Erst als er schmerzhaft gegen den nächsten Baum prallte, wurde er etwas geschickter und versuchte nun gezielt meine Pfoten unten und oben wegzudrücken. Dabei stieß ich meine Krallen tiefer in sein Fleisch. Es gab fast keinen Widerstand. Ich saß auf ihm und all seine Anstrengungen ließen mich nicht um einen Millimeter rutschen. Auch wenn mir durch das Gewackel leicht übel wurde.
Inzwischen hatte er aufgehört zu schreien und winselte nur noch.
«Bitte geh weg. Geh weg und komm nicht wieder. Ich tue auch alles, was du willst. Nur geh.»
Meine Schnauze brachte ich nun näher an sein Ohr und flüsterte: «Ich will, dass du leidest.»
«Nicht schon wieder», brüllte er. Inzwischen versuchte er sich in Richtung Straße zu schleppen. Das Gewicht des Werwolfes schien mit jedem Schritt an Gewicht zuzunehmen.
Seine Worte ignorierte ich und genoss das Gefühl der Macht. Inzwischen stieß ich ein Jaulen aus, um ihm damit noch mehr Angst einzujagen. Schluchzend schleppte er sich Schritt um Schritt. Dabei wurde er immer langsamer. «Bitte geh von mir runter. Bitte lass mich am Leben.»
«So wie man seine Umwelt behandelt, so kommt es zurück.» Dann zerkratze ich seine Schultern mit den Krallen. Es machte mir enormen Spaß ihn leiden zu sehen. Jetzt bekam er alles zurück. Auge um Auge.
Inzwischen war ich auf seinen Schultern so schwer, dass sein rechtes Schienbein lautstark brach, als er damit auftrat. Peter stürzte auf den kalten Waldboden. Dabei stieß er einen kreischenden Schrei aus und krabbelte auf dem Boden weiter. Langsam versuchte er weiter zu kriechen.
Ich sprang von seinem Rücken und hüpfte im Kreis: «Was ein fieses Geräusch, da tut mir ja gleich alles weh.»
Ich hüpfte weiter im Kreis. Dabei wackelten die haarigen Ohren auf und ab. Durch das Geräusch tat mir alles weh. Körperlich konnte ich den Schmerz in seinem Knie spüren. Jaulend lief ich in Richtung Straße. Das war zu viel.
Mich blendete Licht. Im ersten Moment konnte ich das noch nicht zuordnen.
Mitten auf der Straße, sah ich dem Auto zu, wie es auf mich zu schlitterte. Oh, Fuck. Die Fahrerin des Wagens hatte einen entsetzten Gesichtsausdruck. Ich sah diesen entsetzten Ausdruck immer näher auf mich zukommen, bis der Wagen mich erfasste.
Der Aufprall tat weh. Ich spürte, wie meine Hinterläufe weggedrückt wurden und es mich über die Windschutzscheibe schob. Danach drehte sich alles, bis ich hart auf den Boden aufschlug. Himmel, war mir schwindelig. Türen wurde geräuschvoll aufgerissen. Mir wurde schwarz vor Augen.
Egal was man mir gegeben hatte, es knallte rein. Ich merkte zwar noch, dass ich Schmerzen hatte, aber es war mir vollkommen egal. Irgendwelche Leute hoben mich hoch, legten mich auf eine kalte Trage. Was gesagt wurde, konnte ich nicht mehr deuten. Es halte alles ein bisschen. Dieser Zustand hielt eine ganze Weile an.
Als mein Kopf wieder klar wurde, schmerzte meine Seite. Ich lag unbequem und um meinen Hals war etwas Schweres gebunden. Ich hatte wohl auch eine Wirbelfraktur. Langsam wanke ich bis zu einem Spiegel. Bei diesem Anblick fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Ich war noch immer ein Wolf. Schnell sah ich nach rechts und links. Aber aus jeder Perspektive sah ich aus wie ein Wolf. Ein Wolf mit einer Halskrause.
Auch bei dem Versuch zu reden tat sich bei mir nichts. Keine Sprache war mehr möglich. Es war ein leises Heulen, das ertönte. Langsam drehte ich mich weiter. Die hatten mir den Hintern rasiert. Oh, bitte sag, dass es nur das Fell war und die mir nicht noch mehr abgeschnitten hatten. Leider sah ich mit der Halskrause nur schwer meine Kronjuwelen. Etwas schneller schüttelte ich meinen Hintern. Mit Erleichterung spürte ich etwas Festes zwischen meinen Beinen baumeln. Puuh. Nun drehte ich mich nochmal seitlich zum Spiegel. Der Gürtel war vom Fell nicht zu unterscheiden. Es war nur eine Nuance heller als der Rest. Leider war er wohl beim Rasieren beschädigt worden. Wie kann ich das nur wieder beheben?
Tim wird wissen, was zu tun war. Ich musste zu Tim. Wie kam ich hier raus? Und wo war ich überhaupt?
Feindselig starrte ich die Haustür an. Der Schlüssel steckte. Mit etwas Schwung richtete ich mich auf und versuchte mit den Pfoten die Türklinke zu greifen. Sie war rutschig und ich glitt schnell daran ab. Leider ging die Tür nicht auf. Wer zum Geier sperrte seine Haustür von innen zu?
Jemand musste mir die Tür öffnen.
Wo war der Bewohner dieser Wohnung? Die Tür seitlich links von der Haustür war noch geschlossen, irgendjemand war wohl darin. Ich hatte keinen Bock zu warten, bis dieser in die Puschen kam. Also ging ich zu der verschlossenen Tür und kratzte mit den Pfoten. Ein paar Minuten passierte nichts. Ich hörte leise Geräusche auf der anderen Seite, aber diese kamen nicht näher. Der pennte noch. Wie unverschämt. Also fing ich an die Halskrause an die Tür anzulehnen und dann ruckartig gegen die Tür zu rammen. Das tat um einiges mehr weh als erwartet. Mehr als zweimal Klopfen an der Tür, hielt ich nicht aus. Mein rasierter Hintern schmerzte. Und jetzt?
Ein leises: «Herein», war zu hören.
Leise Schritte über mir brachten mich auf eine Idee. Nachbarn. Wie lange man wohl Lärm machen musste bis diese auf der Matte standen? In diesem Moment fing ich an zu heulen. Nach ein paar Sekunden wurde die Schlafzimmertür aufgerissen.
Entgegen meiner Erwartungen riss nicht ein Bodybuilder die Tür auf, sondern eine recht schmächtige, junge Frau. Hübsch, braune, lange Haare und nur schmächtig bekleidet. Nur so richtig zielstrebig sah sie nicht aus. Irgendetwas vor sich hinmurmelnd, wankte sie zombiemäßig an mir vorbei auf die Toilette.
Was war denn das? Einen Moment war ich irritiert. Nun gut. Lass ich ihr etwas Zeit zum Aufwachen. Die paar Minuten kann ich auch noch warten. Irgendwie kam sie mir bekannt vor. Nur woher kannte ich sie?
Was ich für Geräusche aus der Toilette hörte, flößte mir Respekt ein. Sie sollte einen Arzt aufsuchen. Dringend. Langsam schlich ich mich von dieser Tür weg und befand mich im Wohnzimmer. Dort lag ein Gummiknochen für Hunde. Meine Nase in die Luft reckend, schnüffelte ich. Nein, kein Hund. Aber ich sollte noch ein Stückchen mehr Distanz zwischen mich und die Toilette bringen. Dabei trat ich auf den Knochen. Dieser quietschte laut.
Inzwischen war die Brünette an mir vorbei in die Küche gewankt, und öffnete dort den Kühlschrank. Mit etwas Schwung trappelte ich in die Küche. Mal nachsehen, ob es auch etwas Leckeres für mich gab.
Der Schleim, den sie in einen Fressnapf packte, roch Übelkeit erregend. Dann stellte sie diesen auf den Boden und machte eine einladende Geste. Das war hoffentlich nicht ihr Ernst!
Dann kraulte sie mir das Köpfchen. «Gott sei Dank, geht es dir wieder besser. Eine Zeitlang sah es nicht gut für dich aus. Aber keine Sorge, du hast hier ein Zuhause gefunden. Ich lass dich nicht mehr gehen.»
Kurz blickte ich auf den Napf und fragte mich, ob das eine Drohung war. Wahrscheinlich. Betont langsam setzte ich mich auf den Boden. Ohne Fell war es sehr kalt.
Inzwischen war ich schon seit drei Tagen bei Liz. Zumindest meldete sie sich am Telefon so. Bisher hatte sich keine Möglichkeit ergeben abzuhauen und zu Tim zu gelangen. Leider. An diesen dritten Tag verfrachtete sie mich in ihr Auto. Die Fahrt dauerte nicht lange und ich hoffte, dass sie mich wieder aussetzen würde. Leider merkte ich zu spät, dass ich zum Tierarzt gebracht wurde. Als ich das Schild Tierarzt las, versuchte ich mich gegen das Geschirr zu stemmen. Leider halfen dann weitere Tierbesitzer dabei meinen kahlen Hintern über die Schwelle zu schieben. Was wollte sie hier mit mir machen?
Die anderen Hunde, sahen genauso ängstlich aus wie ich. Nur ein kleiner Welpe war hoffnungslos aufgeregt. Wedelte mit dem Schwanz, schnüffelte und wirbelte aufgeregt durch das Wartezimmer. Du einfältiger Idiot, dachte ich mir nur. Man konnte erkennen, dass dieser noch nie beim Tierarzt war. Unwissenheit konnte echt ein Segen sein.
Dann wurde ich mit gesammelter Anstrengung in den Behandlungsraum geschoben. Bitte, keine Impfung, flehte ich innerlich.
Doch dann entfernte der Arzt nur die Fäden der Wunde.
«Die Halskrause sollte noch ein paar Tage dran bleiben. Nicht dass er sich die Wunde nochmal aufbeißt. Ansonsten scheint er keine Schäden davon getragen zu haben», erklärte der Arzt.
«Das klingt sehr gut. Dann lass ich die Halskrause noch dran.»
«Allerdings sieht mir dieses Tier immer noch nicht aus wie ein Hund. Ich glaube mehr, dass sie sich da einen Wolf angeschafft haben.» Einen Werwolf, korrigierte ich stumm.
«Vielleicht eine Husky Mischung», versuchte Liz sich zu rechtfertigen.
Ziemlich verzweifelt, schoss es mir durch den Kopf.
Ich legte meinen Kopf schief und musterte sie skeptisch. Erst als ich den Blick des Tierarztes bemerkte, fiel mir auf, dass er denselben hatte.
Leider konnte ich auch nicht bei diesem Ausflug entkommen. Liz passte höllisch auf, dass ich ihr nicht entkam. Das ließ meine Laune auf einen Tiefpunkt fallen. Diese wurde auch nicht angehoben, als Liz mir eine gekühlte Dose Hundefutter vor die Schnauze hielt. Na danke, Puppe.
«Komm, iss schon. Das ist voll leckeres Happi Happi.»
Happi Happi? Sie hatte definitiv einige Schrauben locker. Auch, wenn sie es nur gut meinte. Kurz darauf fing sie an sich ihr Mittagessen zu machen. Chili. Dabei lief mir das Wasser im Mund zusammen. Also wartete ich ab, bis sie mein Essen fertig gekocht hatte. Sie schnappte sich einen Teller voll und verschwand vor den Fernseher. Das war meine Chance. Mein Magen knurrte enorm. Also versuchte ich einen Stuhl an den Herd zu schieben. Mit einem beherzten Sprung war ich nun auf Fresshöhe mit dem Topf. Das Wasser sammelte sich in meinem Mund allein beim Geruch. Nur die Halskrause war im Weg. Also versuchte ich den Griff des Topfes zu kippen. Damit der Inhalte ebenfalls aus dem Topf kippt und auf den etwas kühleren Boden fällt. Trotzdem war das Chili heißer als gedacht, aber mein Magen feuerte mich an es einfach runter zu schlucken. Es war heiß, scharf und unheimlich lecker. Eine ganze Weile schlapperte ich das heiße Chili in mich hinein.
«Was zum Geier machst du denn da? Das ist total ungesund für dich», schrie Liz durch den Raum. Damit packte sie mich am Halsband und zog mich aus dem Raum, nur damit sie in Ruhe die Schweinerei wegräumen konnte. Danach kam sie ins Wohnzimmer zurück. Inzwischen lag ich unter dem Couchtisch. In einem leichten Kalorienkoma schlummerte ich vor mich hin.
Mein Körper zuckte. Davon war ich aufgewacht. Noch immer war ich unter dem Couchtisch. Lärm vom Fernseher war zu hören. Mein Magen spannte etwas und drückte. Ich drehte mich zu meiner Wunde um, um sie besser zu sehen. Sah aber wieder nur die kahle Stelle. Dabei konnte ich erschnüffeln, dass etwas ganz erbärmlich stank. Dann machte ich, dass ich von hier fort kam. Im Eilschritt.
Aus dem Wohnzimmer kamen noch würgende Geräusche. «Meine Güte stinkst du. Und dann rennst du auch noch weg», klagte Liz mich an.
Danach war die Küche für mich Sperrzone. Nun achtete sie darauf, dass ich keine Sekunde alleine in diesem Raum war. Leider ließ sie mich auch sonst kaum aus den Augen. Und mit jedem Tag wurde es schlimmer. Meine Hoffnung, dass sie mich irgendwann ins Tierheim oder weiter vermittelte, schwand. Und damit auch meine Geduld. Verdammt, ich war immer noch ein Werwolf. Kein unbedingt guter, aber dennoch. Und kein verdammtes Haustier.
Also wartete ich ab, bis Liz mir mal wieder eine Dose Hundefutter öffnete und in den Hundenapf am Boden füllte. Dabei sprang ich ihr auf den Rücken.
Ein erstauntes «Hey», war zu hören und sie drehte sich. Etwas stach durch meine Vorderpfote und das brachte mich zum Fall. So ein Mist. Die Pfote schmerzte erbärmlich. Und an dieser Stelle war es mir nicht mehr möglich meine Krallen auszustrecken. Doppelter Mist. Gerade jetzt hätte ich eine Reklamation an Tristan.
Ernst sah sie mich an. «Deine Hormone scheinen mit dir durchzugehen», behauptete sie.
Einen Moment fragte ich mich, was sie damit meinte. Danach griff sie direkt zum Telefonhörer und rief eine Nummer an. Leicht die Augen verdrehend ging ich zurück ins Wohnzimmer und legte mich unter den Couchtisch. Warum konnte nur nie etwas klappen?
In diesem Moment stand Tristan vor mir und hatte einen Finger über seine Lippen gelegt.
Was will der denn? schoss es mir durch den Kopf.
«Meinen Gefallen.»
Kannst du meine Gedanken lesen?
«Ja, kann ich.», antwortete er etwas genervt.
Und wie lautet dein Gefallen?
«Unter keinen Umständen wirst du Liz angreifen. Weder mit der Werwolffähigkeit noch mit anderen Mitteln.»
Das erstaunte mich. An ihr hängst du?
«Das geht dich überhaupt nichts an.»
Inzwischen drohte mir Tristan. «Wenn du sie verletzt, gehört deine Seele mir.»
Mit diesen Worten verschwand er.
«Kastration? Gibt es keinen anderen Weg?», fragte Liz in den Hörer. Mein Kopf krachte von unten gegen den Couchtisch. Sofort knallte ich wieder auf den Boden. Bitte was? Ich hoffte für sie, dass ich mich verhört hatte.
«In drei Tagen? Okay. Ich werde ihn hinbringen.»
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich sie töten musste. Scheiß auf meine Seele. Als sie einen Schritt auf mich zukam, knurrte ich sie an. Zuerst mach ich ihr das Leben zur Hölle, bevor ich sie zu ihrem senilen Schöpfer schicke.
Also ging ich an ihre Schuhe und zerkaute diese. Angefangen mit den teuersten. Die Aufgabe war ekliger als gedacht. Igitt. Dennoch gab mir jeder zerkaute Schuh ein Gefühl der Genugtuung. Als ich alle Schuhe, an die ich kam, großzügig zerstört hatte, schlich ich wieder ins Wohnzimmer. Grübelnd, was ich sonst noch anstellen konnte, schlief ich ein.
Irgendwas rüttelte an mir. Verschlafen öffnete ich die Augen. Liz hatte die Halskrause entfernt und stattdessen lag mir ein dickeres Halsband um die Kehle. Nicht unbedingt das beste Gefühl, aber besser als mit der Halskrause. Danach streichelte sie mir das Köpfchen. Das tat gut. Es kam einem Friedensangebot gleich. Nach der Streicheleinheit schlich ich in die Küche. Ich hatte tierischen Hunger und war bereit ein paar Brocken des Hundefutters hinunterzuwürgen. Danach schlich ich zur Tür, um anzudeuten, dass ein Teil des Essens wieder hinaus musste. Geschockt sah ich in den Spiegel. Ich hatte ein rosafarbenes, mit Strass besetztes Halsband an. An diesem war ein lila Halstuch befestigt. Ich sah aus wie Elton Johns Hund. In diesem Moment lief Liz an mir vorbei und kraulte mir das Köpfchen.
«Na, wer wird bald kastriert? Du wirst bald kastriert.» Sie sagte das in einem unfassbar fröhlichen Tonfall. Das bedeutete Krieg.
In den darauffolgenden zwei Tagen verwüstete ich ihre Wohnung. Alles was nicht niet- und nagelfest war, fand sich auf den Boden wieder. Sobald ich draußen war buddelte und grub ich mich durch den Rasen. Besonders schrecklich fand sie es, wenn ich mich in den Hinterlassenschaften anderer Hunde wälzte. Das führte dazu, dass ich in den zwei Tagen fünfmal gebadet wurde. Hinterher schüttelte ich mich immer ausgiebig, und zu meinem Vergnügen hatte sie einmal vergessen ihre Schlafzimmertür dabei zu schließen. In dieser Nacht schlief sie auf der Couch. Nachts setzte ich mich dann auf sie, in der Hoffnung sie zu ersticken. Doch leider rollte sie sich nur leicht und hatte mich im Anschluss in einem Klammergriff. Zu spät erkannte ich, dass ich einen schrecklichen Fehler begangen hatte. Widerstrebend bettete ich meinen Kopf auf sie und schlief ebenfalls ein.
Als der Termin beim Tierarzt immer näher rückte, wurde ich immer verzweifelter. Also fing ich an meinen Kopf gegen die Haustür zu hämmern. Mir wurde davon schwindelig und mein Kopf schmerzte, aber die Aussicht, was sonst passierte, war für mich zu schlimm. Doch das Klopfen schien niemand von den Nachbarn zu stören. Lasst mich hier raus! Dann setzte ich ein letztes Mal an die Wohnung zu verwüsten. Dabei fiel mir diesmal ein Telefon auf den Kopf. Leicht legte ich meinen Kopf schief. Auf einmal wusste ich woher ich sie kannte. Liz kannte ich aus dem kleinen Esoterikladen. Sie war dort öfters mit einer Rothaarigen. Da Tim bestimmt die Nummer von Liz kannte, könnte ich ihn anrufen. Vielleicht wusste er ja, wo sie wohnte und konnte mich retten? Das war ein sehr dünner Strohhalm an den ich mich da klammerte, aber es war einer.
Also versuchte ich mit meinen Pfoten Tims Telefonnummer in den Hörer zu tippen. Es brauchte viele Versuche, doch dann hatte ich es geschafft. Einige Piepsgeräusche kamen aus dem Hörer und dann war ein Freizeichen zu hören. Nach dreimaligen Klingeln hob Tim den Hörer ab und meldete sich. Und jetzt?
Mit all meiner Kraft fing ich an zu Jaulen und zu Knurren. Hoffte, dass Tim Angst bekommt und der Sache nachgeht.
«Liz? Liz? Ist alles in Ordnung bei dir?»
Tim klang genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte. Panisch. Mit meiner Pfote beendete ich das Telefonat und riss danach das Kabel des Telefonanschlusses aus der Buchse. Somit war auch kein Rückruf möglich. Und jetzt blieb mir nur noch zu hoffen, dass Tim schneller hier war als Liz und ich auf dem Weg zum Tierarzt.
Die Uhr tickte und ich saß wie auf heißen Kohlen. Immer wieder ging ich zur Tür und überprüfte, ob ich schon Tritte hörte. Aber nichts.
Dann zog Liz sich an und versuchte mir das Geschirr anzuziehen. Ich wehrte mich mit enormer Kraft und ließ mich von ihr durch die ganze Wohnung scheuchen. Der Versuch, mich dem Sofa zu verstecken, war allerdings ein gewaltiger Fehler. Mein Hinterteil passte blieb zwischen Boden und Couch stecken. Der Kopf unter der Couch und das Hinterteil hing draußen. Als ich meine Misere im Ganzen begriff, wurde ich auch schon an den Beinen wieder hervorgezogen.
In diesem Moment wurde energisch an der Tür geklopft. «Liz, bist du da? Geht es dir gut?»
Ein schöneres Klopfen hatte ich noch nie gehört.
Tim schrie und schlug fast die Tür ein.
Erstaunen breitete sich auf Liz Gesicht aus. Sie ließ mich los und ging in Richtung Tür. Als Tim ihren Gesichtsausdruck sah, beruhigte er sich etwas.
«Ist etwas passiert?», fragte sie verwirrt.
«Ein Anruf und ein Knurren.»
«Wie bitte?»
Das nahm ich als guten Zeitpunkt, um in den Flur zu gehen und ein Heulen auszustoßen.
Beide sahen mich erschrocken an. Innerlich betete ich, dass Tim mich erkennen möge. Ob mich selbst oder was ich war, das war mir egal. Hauptsache er verhinderte diesen Arzttermin.
«Oha», rief Tim aus. «Du hast dir einen Wolf angeschafft?»
«Nein, es ist eine Huskymischung», rief Liz aus. «Und er braucht mich.»
Langsam dämmerte es Tim, dass nicht Liz angerufen hatte.
«Liz, das ist definitiv kein Husky.» Mit diesen Worten kam Tim auf mich zu und kniete vor mich hin. «Bist du ein Wolf?» Die Worte waren an mich gerichtet. Kopfschüttelnd sah ich ihn an.
Seine einzige Reaktion war, dass er eine Augenbraue hochzog.
Dann kniete er sich vor mich hin und inspizierte mich. Als er meine rasierte Stelle sah, strich er darüber. «Das Fell fängt schon wieder an zu wachsen.»
Daraufhin folgte ich seinem Blick. Er hatte Recht. Das Fell und auch der Fellgürtel wuchsen wieder.
«Liz, ich weiß nicht, wie du das geschafft hast, aber du hast dir einen Werwolf angeschafft.» Gott sei Dank war Tim fachkundig.
«Heißt das, ich darf ihn wieder nicht behalten?», fragte sie traurig.
Ich schüttelte vehement den Kopf. Nur über deine Leiche.
Lächelnd sagte Tim: «Ich fürchte nicht. Was hattest du denn mit ihm vor?»
«Wir wollten nur gerade zum Tierarzt.»
«Wieso? Was fehlt ihm denn?»
«Nicht so wichtig.» Dabei versuchte sie zu lächeln.
«Wenn das Fell nachgewachsen ist, kann er sich wieder zurück verwandeln. Bis dahin wird er wohl noch ein Wolf bleiben.»
Zu mir gerichtet meinte er: «Du solltest den Gürtel zurückgeben, bevor du eine Schuld abbüßen musst.» Langsam nickte ich. Das Ding wollte ich nur noch loswerden. Das alles war ein Horrortrip. Allerdings hatte ich meine Schuld schon beglichen.
«Kann er noch hier bleiben, bis er sich zurück verwandelt?», fragte Liz plötzlich.
«Ja, solange ist er ja quasi hilflos. Du hast ja seine Pfote perforiert.»
«Das war nur, weil er mich angesprungen hat. Ein Versehen. Wirklich.» Sie klang geknickt.
Bei diesen Worten sah Tim mich an. Er wusste genau, was ich da versucht hatte. Sein Blick schwankte zwischen Mitleid und Ärger. Er konnte sich wohl nicht so recht entscheiden, welches Gefühl hier angebracht war.
«Bringt euch nicht gegenseitig um.»
«Ich versuchs», murmelte ich vor mich hin. Als die beiden mich erstaunt ansahen, merkte ich, dass ich das tatsächlich laut ausgesprochen hatte. Nicht nur in meinen Gedanken. «Ich werde sie schon nicht umbringen», meinte ich beschwichtigend.
«Er kann reden?», fragte Liz entsetzt.
«Was ist daran so erstaunlich? Du kannst es doch auch.»
«Das ist mir auch neu. Kunibert, bist du das?», durchbrach Tim die aufkommende Stille.
«Mmh, nein. Ach Tim, ich sollte dich noch von Tristan grüßen.»
«Bitte, was?» Entsetzt kam mir Liz entgegen. Sofort machte ich ein paar Schritte zurück, bevor sie mich umrennen konnte.
«Doch nicht etwa meinen Tristan?»
«Liz, beruhige dich», meinte Tim beruhigend.
«Oh Gott, du bist der gemeinsame Freund.» In dem Moment, in dem die Worte heraus waren, hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Bravo, Wunni. Da hast du dich aber tierisch in die Nesseln gesetzt.
«Er war hier? Wie? Wo?» Dabei nahm sie meine Schnauze in die Hände. Etwas zu fest für meinen Geschmack. Und ihr Blick war so fest, dass ich annahm, sie würde mir jeden Knochen im Leib brechen, wenn ich ihr nicht sofort Rede und Antwort stand.
«Ich hab ihn mit einem Zauber gerufen.» Meine Worte klangen sehr gedämpft.
«Welchen?», fragte Tim.
«Einen Wunschzauber.» Damit riss ich mich aus ihrem Griff los.
«Ihr müsst nicht zaubern, um mich wiederzusehen», scherzte eine mir bekannte Stimme. Sofort zuckten Tim und Liz zusammen. Aber der Schreck hielt nur kurz an.
«Wie konntest du es wagen, einfach ein Ghosting durchzuziehen?», schuldigte Liz Tristan an. Ich hingegen konnte es ihm nicht übel nehmen. Hätte es genauso gemacht.
In der Haut des Dämons wollte ich dennoch im Moment nicht stecken. Etwas Schadenfreude konnte ich mir dennoch nicht verkneifen. «Du warst mit der zusammen? Und ich dachte schon, ich habe Probleme.»
«Schnauze, Köter», wies mich Tristan zurecht.
«Ich dachte, es wäre besser so.», versuchte sich Tristan zu rechtfertigen.
«Besser, dass ich nicht lache.»
Langsam schlich ich mich zu Tim, während Liz und Tristan anfingen sich gegenseitig anzuschreien.
«Hey, Tim? Kann ich bei dir pennen? Mir brennt hier zu sehr die Hütte.»
«Ist gut. Aber nur, wenn wir jetzt gehen.»
Die Bedingung war akzeptabel.
Beim Hinausgehen rief ich Tristan noch zu. «Ich lass dir den Gürtel zukommen.»
Keine Antwort bedeutete immer ja.
«Wird er ihr wehtun?», fragte ich Tim vor der Tür.
«Er ihr? Ich würde mir mehr Sorgen machen, dass sie ihm den Kopf abreißt.»
Einen kurzen Moment dachte ich darüber nach. Ja, sie jagte auch mir Angst ein.